Energiepolitischer Aktivismus oder gesunder Menschenverstand?

Hier möchte ich Stellung zu Martins Blogeintrag vom 28.03.2011 nehmen.

Martin betreibt das Blog Tokiobeben, und war bis vor kurzem noch selbst in Tokio. Die Ereignisse und die katastrophalen Folgen des 11.März haben ihn gezwungen nach Deutschland zurückzukehren. Er wird von der Deutschen Botschaft mit Jodtabletten versorgt und studiert Informatik, wie ich.

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… Naja, das würde ich so nicht sagen.

Erstens: Die Zahl von 0,04 Toten pro TWh ist nicht glaubwürdig.

Aus den angenommenen 65.900 kWh die durch Atomkraft von 1951 bis 2010 erzeugt wurden, und der „Totenrate“ von 0,04 folgt eine „Totenzahl“ von 2626. Allein durch die Katastrophe von Tschernobyl wurden mit hoher Wahrscheinlichkeit weit mehr Menschen getötet, als offiziell von der IAEA gemeldet wurde. Man sieht heute bei Tepco, ja erstaunliche Parallelen in der Informationspolitik zu Tschernobyl, darüber hast du dich selbst ja schon beschwert. 😉  Die ukrainische Gesundheitsbehörde hat im Jahr 2002 Opferzahlen von 15.000 allein unter den Liquidatoren bekannt gegeben!!! Quelle: Umweltinstitut.org # Nur da die IAEA diese Zahlen bis heute, aus welchen Gründen auch immer, nicht offiziell bestätigt hat  kann man sich die Totenrate und damit die Atomkraft als solche auf diese Art schön rechnen. Bei der Totenrate von 0,04 pro TWh handelt es sich meiner Meinung nach um eine unglaubwürdige PR Zahl, die alleine durch die Opferzahlen der Atomkatastrophe von Tschernobyl widerlegt sein sollte. Betrachtet man z.B. noch die erhöhte Säuglingssterblichkeit in Fallout Gebieten oder erhöhte Fälle von Leukämie und anderen Krebsarten, entsteht ein anderer Eindruck. Hinzu kommt das Tschernobyl nicht die erste und leider auch nicht die letzte Atomkatastrophe war, wie wir ja jetzt wissen.

Zweitens: 161 Tote/KWh ist für Deutschland nicht relevant.

Hier sollte man die Sache erst mal differenzierter betrachten. Die extrem hohe Rate bei Kohle Strom geht vermutlich auf Großanlagen in USA, Russland, China zurück die im Großen Still ohne Abgas Filterung betrieben werden können. Das größte Problem bei Stromerzeugung durch Kohle sind wohl schädliche Abgase in Form von Staub, Ruß und Feinstaub sowie ein hoher Anteil an Quecksilber im Abgas. Große Teile des ausgeschiedenen Quecksilbers sollen sich angeblich in den Ozeanen ablagern wo sie dann in der Nahrungskette nachzuweisen sind und aufsteigen ohne sich selbst abzubauen. Bei Menschen führen hohe Quecksilber Belastungen zur Minamata-Krankheit, benannt nach der Japanischen Stadt Minamata wo die Krankheit Mitte der 50er Jahre aufgetreten ist, und wissenschaftlich untersucht wurde.  Quelle: Wikipedia/Minamata-Krankheit # Das Problem beim Kohle-Strom lässt sich durch den Einsatz zeitgemäßer Filtersysteme relativ leicht in den Griff bekommen. In Deutschland haben wir bei Filtersystemen einen relativ hohen Standard für Kraftwerksbetreiber der vom Gesetzgeber vorgeschrieben wird. Den Deutschen Wähler wirst du also mit der Statistik nicht beeindrucken können, weil sie für uns nicht so relevant ist wie vielleicht für die USA. Es gibt übrigens seit langem die Forderung bessere Filteranlagen für Kohle Kraftwerke einzusetzen. China geht schon eine Weile den Weg seine „alten Stinker“ abzuschalten, und durch neue modernere und sauberere Kraftwerke zu ersetzen. Es gibt also Leute die stinkende Kohlekraftwerke abschalten wollen, nur eben nicht so viele davon die deutsche Kohlekraftwerke abschalten wollen.

Drittens: Die Baden-Württemberger Wähler sind keine  medial emotional gesteuerte Schwarz-Weiß Denker, sondern gut informierte Bürger. Wären sie medial emotional, vielleicht sogar von der Atomlobby, gesteuert dann hätten sie anders gewählt. Dem informierten Wähler ist klar dass von allen Energieformen Gefahren ausgehen und auch Opfer dafür zu bringen sind bzw. sogar Menschen dafür ihr Leben lassen müssen. Der Entscheidende Punkt ist dabei aber, dass Kernenergie aus vielen Gründen weder mit Fossilen noch mit Erneuerbaren Energieformen gleichgesetzt werden kann.

Zu Beginn der Kernenergie sah man darin eine saubere Energiequelle, die die gesamte Menschheit aus der Abhängigkeit der Fossilen Energien erlösen sollte. Wie man heute weiß ist Kernenergie auf den Bodenschatz Uran angewiesen und damit auf eine Absehbare Zeit beschränkt. Mit Wiederaufbereitung im großen Stil kann die Lebenszeit vielleicht noch verlängert werden, begrenzt ist sie trotzdem. Atomenergie ist nicht sauber. Bayrische Pilze sind bis heute stark radioaktiv belastet. Auch Wildtiere sind davon betroffen, und müssen teilweise wegen zu hoher Belastung nach dem Abschuss als „radioaktiver Sondermüll“ entsorgt werden.

Auf lange Sicht gesehen ist Kernkraft auch wirtschaftlich schädlich. Denn das Austreten von radioaktiven Stoffen kann nicht verhindert werden. Die dadurch allein bis heute freigeworden radioaktiven Stoffe werden Mensch und Umwelt noch über Generationen belasten, und fügen der globalen und der lokalen Volkswirtschaft enorme Schäden zu. Das Import Verbot für Japanische Nahrungsmittel zeigt, wie schnell ein Volkswirtschaftlicher Schaden entstehen kann. Die langfristigen Wirtschaftlichen Folgen für Japan werden sich vermutlich über Jahre hinziehen, und das Japanische Bruttoinlandsprodukt spürbar verschlechtern.

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Conclusion

Ein langfristiger Einsatz der Kernkraft ist durch die jüngsten Ereignisse in Fukushima politisch und gesellschaftlich nicht mehr durchsetzbar. Die Nachteile beim Verbrennen von fossilen Brennstoffen wie CO2 Ausstoß und Umweltbelastungen sind bekannt. Kohlekraftwerke können nicht als langfristiger Ersatz für Kernkraftwerke verwendet werden. Jetzt beginnt das Post-Atomare-Zeitalter. Die Länder die heute schon Erneuerbare Energien einsetzen und die Fabriken und das Know How zur Herstellung von effektiver Wasser-Wind-und Sonnenenergie haben, werden die Gewinner des Post-Atomare-Zeitalter sein. Gemeinsamer Wohlstand wird mit einer modernen und durchdachten Energie Politik nicht nur für High Tech Nationen wie Deutschland möglich, sondern ist auch für Entwicklungs oder Schwellen Länder machbar.  Die Technologischen Entwicklungen die die Menschheit in den kommenden Jahren zur Lösung der Energiefragen entwickeln wird, werden auch deswegen die Welt verändern, weil sie mit Unterstützung des Internets einen höheren Standard erreichen werden als das mit den Mitteln der 1950er Jahre möglich war. Uns allen steht ein goldenes Zeitalter bevor, wenn sich die Politik auf die richtigen Regeln einigen kann.

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Eine Antwort zu Energiepolitischer Aktivismus oder gesunder Menschenverstand?

  1. roerijk schreibt:

    Einmal abgesehen, dass diese Bodycount-Rechnerei eine Perversion darstellt: Es gibt mehr Gründe, weshalb die genannten 0,04 Tote/ TWh nicht stimmen können. Beispielsweise werden keine Opfer aufgelistet, die schon am Anfang der Nuklearkette sterben – in Uranminen und im Umfeld von Uranminen z.B. Nimmt man nur die anerkannten Fälle von Arbeitern der Wismut, die in Folge ihres Berufs an Krebs erkrankt sind und starben, kommt man auf etwa 7.200. Plus die 4.000 Tote, die offiziell nach Tschernobyl direkt an den Folgen der Strahlung starben, macht das schon über 11.200. Die Dunkelziffer liegt weitaus höher. Zumal das in anderen Uranabbaugebieten nicht besser ist. Im Gegenteil. Im Niger oder in China gibt es kaum Arbeitsschutz für die Minenarbeiter.

    Dehnt man die Suche auf die Bevölkerung rund um die Uranminen in der Welt aus, treten weitere erschreckende Dinge zutage. Zum Beispiel liegt die durchschnittliche Lebenserwartung um die Uranminen im Niger nur bei etwa 40 Jahren. Todesursache? „Unbekannt“. Zumindest laut den Ärzten, welche übrigens von Areva bezahlt werden. Rund um die Rangermine in Australien ist das Risiko an Krebs zu erkranken 50% höher als im restlichen Land. Wieviele Tote gab es aufgrund von Krebserkrankungen oder Organschäden durch Schwermetallvergiftungen im Zusammenhang mit dem Church Rock Mill Spill 1979? Wieviel Tote das Ganze im Niger, Kasachstan, China, Namibia, Kanada, Frankreich, USA, Australien, Deutschland und Russland gekostet hat? Keiner weiß es!

    Die Toten durch den Unfall Majak oder dem Regelbetrieb und den Experimenten von Hanford werden offensichtlich auch nicht eingerechnet. Genauso wenig die Leiharbeiter der Atomdienstleister, welche die niederen oder gefährlichen Aufgaben in den AKWs übernehmen (diejenigen, die man im Zusammenhang mit Fukushima „Wegwerfarbeiter“ genannt hat), und die Jahrzehnte später an Krebs erkrankten und starben. Zahlen dazu? Die gibt es kaum, denn es liegt an diesen Leuten den Zusammenhang ihrer Erkrankung mit dem Beruf zu belegen. Dabei kommen Lungenkrebs und Leukämie in diesen Berufszweigen häufiger vor. Aber sobald eine Person in ihrem Leben geraucht hat oder woanders gearbeitet hat, in der auch ein höheres Krebsrisiko existiert – z.B. in der chemischen Industrie –, was für Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen nichts ungewöhnliches ist, dann wird ein solcher Beleg fast unmöglich und kaum jemand nimmt Notiz davon, weil es keine große Explosion gab.

    Auch wird deutlich, dass es eine reine PR-Zahl ist, weil sonstige gesundheitliche Schäden keine Erwähnung finden. Was ist mit den Krebserkrankungen, die nicht tödlich verlaufen sind? Was mit den Menschen, die nach Tschernobyl mit Behinderungen zur Welt gekommen sind? Was ist mit dem „leisen Sterben“ durch angestiegene Infertilität und Sterilität in Gebieten in der Ukraine und Weißrussland? Was ist mit Gendefekten, die sich kumulieren und deren Auswirkungen erst nach mehreren Generationen sichtbar werden? All dies bleibt meist unerwähnt und es erfolgt auch keine umfangreiche Aufklärung.

    Die ganze Atomwirtschaft ist vom Anfang bis zum Ende dreckig, gefährlich und menschenverachtend…

    „Spiegel“: Amerikas atomare Zeitbombe

    „Spiegel“: Tagelöhner kämpfen gegen nukleare Katastrophe

    „Arte“: Dokumentation – Alles im Griff?

    Fundstück: Artikel aus dem Jahr 1999 über „Wegwerfarbeiter“ in der „Berliner Zeitung“

    3sat – Der gefaehrliche Abbau von Uran

    „Kontraste“: Uranabbau Niger – für AKW’s in Deutschland

    Doku: Yellow Cake – Die Lüge von der sauberen Energie

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